Ein Brief der Bischöfe
der orthodoxen Kirche in Deutschland
an die Jugend über Liebe – Sexualität – Ehe

 

Orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD)

 

„Am Tag, da Gott den Menschen schuf, machte er ihn Gott ähnlich.

 

Als Mann und Frau erschuf er sie, er segnete sie und nannte sie Mensch“

 

(Gen 5,1-2)

 

Ein Brief der Bischöfe der orthodoxen Kirche

 

in Deutschland an die Jugend

 

über Liebe – Sexualität – Ehe

 

 

Liebe junge orthodoxe Christen in Deutschland!

 

Als Bischöfe Eurer Kirche in Deutschland wenden wir uns mit diesem gesonderten Brief an Euch und wollen uns zu einigen aktuellen Themen äußern. Die Welt rückt immer enger zusammen. Und immer deutlicher treten die brennenden Probleme der Zeit hervor. Sie betreffen zutiefst die menschliche Existenz - Eure Existenz: Gegenwart und Zukunft legt Gott in Eure Hände.

 

1. Wir leben in einem Land, in dem der Einzelne die Möglichkeit hat, sich in Freiheit und Menschenwürde zu entfalten. Das war in der Geschichte der Menschheit nicht immer so. In vielen Ländern der Erde ist es heute noch nicht der Fall. Die Tatsache, dass wir in Deutschland leben, wo Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zum Allgemeingut gehören, können wir als Segen Gottes betrachten.

 

Vor dem Hintergrund eines religiösen Extremismus, der sich an vielen Orten zu verstärken droht, sind wir als Christen aufgerufen, die genannten Werte mit aller Kraft zu verteidigen. Sie stehen im Einklang mit dem Menschenbild, das in der Heiligen Schrift und in der Tradition unserer Kirche zum Ausdruck kommt: dass der Mensch nach dem Bilde Gottes erschaffen wurde (Gen 1, 27). In der Fähigkeit des Menschen, sich frei zu entscheiden, sehen wir eine der Eigenschaften dieses göttlichen Bildes.

 

2. Diese Freiheit ist ein ungemein wertvolles Geschenk, zu dem ein Umgang in voller Verantwortung gehört. Die Verantwortung ist mit der Freiheit untrennbar verbunden. Das kommt in allen Lebensbereichen zum Ausdruck, auch bei der Frage, ob man das eigene Leben allein oder innerhalb einer Gemeinschaft gestalten möchte, und natürlich bei der Suche nach einem Partner oder einer Partnerin. Damit hängt eine Reihe von Fragestellungen zusammen, z.B. nach der Sexualität, der Eheschließung, dem Unterschied zwischen standesamtlicher und kirchlicher Ehe, etc. Diese Fragen betreffen einen jeden zutiefst in seiner Person, da jeder seinen Lebensweg in freier Entscheidung bestimmt.

 

Die folgenden Überlegungen sollen dazu Hilfestellung liefern; denn jeder Einzelne soll frei seinen Lebensweg bestimmen. Sie ermuntern dazu, sich in Verantwortung mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und das Gespräch innerhalb unserer Kirche zu fördern.

 

3. Eine der bekanntesten und beliebtesten Bibelstellen ist das 13. Kapitel des ersten Briefes des heiligen Apostels Paulus an die Korinther, das auch das „Hohelied der Liebe“ genannt wird. Dort beschreibt der heilige Apostel die Liebe als eine Kraft, die zur Überwindung des eigenen Egoismus führt. Wie? „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.“ (1 Kor 13, 4-8). Die Liebe führt somit zur Vollendung des eigenen Menschseins und zur Erkenntnis der Wahrheit. So ist sie wertvoller als jede andere Tugend: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Kor 13, 13)

 

In diesem Sinn ist die Liebe zu einer anderen Person eine bedingungslose Zuwendung: Wenn ich liebe, setze ich mich nicht mehr in den Mittelpunkt meiner Existenz. Die Liebe ist ganzheitlich und dynamisch und mehr als „Schmetterlinge im Bauch“. Sie setzt voraus und verwirklicht die folgenden Worte Christi: Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden ein Fleisch. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins (vgl. Mt 19, 5-6).

 

4. In der heutigen Zeit haben viele junge Männer und Frauen sexuelle Beziehungen vor der Ehe. Vor diesem Hintergrund fragen viele, wie die orthodoxe Kirche dazu steht. Aufgabe unserer Kirche ist es, ihre Gläubigen mit geistlichem Rat zu begleiten und nicht Vorschriften mechanisch zu formulieren. Das ist kein Freibrief für sexuelle Freizügigkeit. Wir betonen: Es ist sehr wichtig in Verantwortung zu handeln; in Verantwortung in Bezug auf die eigene Sexualität, auf die Sexualität des Partners bzw. der Partnerin sowie auf die Folgen des sexuellen Lebens; in Verantwortung vor sich selbst, vor der Gesellschaft und vor Gott. In diesem Sinn schreibt der heilige Apostel Paulus an die Korinther: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst“ (1 Kor 6,19).

 

Dieses Kapitel des Korintherbriefes ist der Freiheit gewidmet, die aus der Verbindung mit Christus kommt und in der von Gott gesegneten Ehe gelebt werden kann. Daher wünschen wir, dass Eure Liebe durch eine kirchliche Ehe gekrönt wird, dass dadurch eine christliche Familie entsteht, und dass Ihr lernt, das Leben, auch das neu entstehende, zu ehren, zu schützen und zu fördern. In diesem Zusammenhang erinnern wir daran, dass der Embryo ab der Zeit der Empfängnis ein menschliches Wesen ist.

 

Wir rufen Euch auf: Verschweigt Eure Fragen nicht! Sprecht sie aus! Sprecht darüber mit kompetenten Menschen. Offene Gespräche können helfen, sich selbst besser zu erkennen und zu einer Entscheidungsfindung zu kommen: Erzählen ist heilsam für die Seele. Besonders rufen wir dazu auf, das Gespräch mit der erfahrenen geistlichen Beratung zu suchen. Unsere orthodoxe Kirche hat eine lange Tradition des seelsorglichen und therapeutischen Gesprächs. Auch heute – in einer Zeit der elektronischen Medien – kann dies eine große Hilfe leisten.

 

5. Wir leben in einem Land, in dem eine kirchliche orthodoxe Eheschließung in der Regel nur dann erfolgt, wenn die Eheleute standesamtlich verheiratet sind. Die Zivilehe hat den Zweck, Mann und Frau zivilrechtlich abzusichern.

 

Für uns Christen hat die Ehe mit jener Liebe Gottes zu tun, die Jesus Christus durch seine Menschwerdung, Kreuzigung und Auferstehung gezeigt hat. Deshalb ist die Ehe für einen Menschen, der an Jesus Christus als den Sohn Gottes glaubt, mehr als eine weltliche Angelegenheit, und selbstverständlich viel mehr als das Hochzeitsfest. Sie setzt nämlich ein Versprechen zur lebenslangen Treue voraus und dass die Gemeinschaft zwischen den Eheleuten in Verbindung mit Christus gebracht werden soll. Eheleute sind dazu aufgerufen, ihre Gemeinschaft als ein Geschenk Gottes anzunehmen und als eine Ausdrucksform der gegenseitigen Liebe wahrzunehmen, die in der Kirche Christi gelebt werden soll. Die Größe dieses Geschehens wird ebenfalls im Traugottesdienst dadurch deutlich, dass Braut und Bräutigam miteinander und füreinander gekrönt werden. Um diesem Verständnis Ausdruck zu verleihen, greift der heilige Apostel Paulus auf das Bild der Verbindung zwischen Christus und seiner Kirche zurück und nennt sie ein Mysterium: „Dieses Mysterium ist groß; ich sage es aber in Bezug auf Christus und die Kirche“ (aus der Apostellesung bei der Feier der Krönung, Epheserbrief 5, 32).

 

Ebenfalls in einem Traugottesdienst wird mehrmals dafür gebetet, dass Gott den Eheleuten Fruchtbarkeit schenkt. Unsere orthodoxe Kirche segnet den Kinderwunsch und betrachtet das Kind als Geschenk Gottes. Doch auch ohne Kinder ist eine Ehe heilig und vollkommen. Wir sind der Meinung, dass es zu einem verantwortungsvollen christlichen Leben gehört, über den Umfang der Familie nachzudenken. Dabei ist zu bedenken, dass Abtreibung, d. h. Tötung eines lebendigen Organismus, für den orthodoxen Christen weder in der Familienplanung noch anderweitig in Betracht kommen kann und darf.

 

Traugespräche mit dem Gemeindepriester werden all diese Aspekte umfassen. Solche Gespräche sind mehr als eine Formalität vor der Eheschließung und sollen stattfinden, bevor man anfängt, praktische Vorbereitungen auf das Hochzeitsfest zu treffen.

 

6. In einer pluralen Gesellschaft wie Deutschland sind Ehen zwischen Orthodoxen und anderen Christen keine Seltenheit. Man bezeichnet sie als interkonfessionell. Solche Ehen haben in den letzten Jahrzehnten zu Begegnungen und gegenseitigem Kennenlernen beigetragen. Sie zeigten außerdem, dass eine Kindererziehung im Respekt gegenüber unterschiedlichen Traditionen möglich ist. Praktische Fragen, die sich auf interkonfessionelle Ehen beziehen, wurden in den Dokumenten behandelt, die wir zusammen mit der römisch-katholischen Kirche und der evangelischen Kirche in Deutschland verabschiedet haben. Sie bedürfen aber ebenfalls des begleitenden Gesprächs.

 

Diese Ehen haben auch ihre Herausforderungen: So bleibt auch in den erwähnten Dokumenten die Frage nach dem gemeinsamen Empfang der heiligen Kommunion ungelöst. Die Position unserer Kirche lautet nach wie vor: Dieser Empfang ist nur dann möglich, wenn eine vollständige Einheit im Glauben besteht. Eine solche Einheit ist bei interkonfessionellen Ehen nicht gegeben. Hier sind wir alle mit einer Situation konfrontiert, die schmerzhaft ist und sich als eine theologische Herausforderung darstellt. Das muss man in aller Ehrlichkeit zugeben. Daher bitten wir Gott darum, uns dabei zu helfen, die Trennung bald zu überwinden und zur Einheit aller zu finden.

 

7. Noch komplizierter verhält es sich mit der Frage nach einer Ehe mit einem nicht christlichen Partner bzw. einer nicht christlichen Partnerin. Solche Ehen werden interreligiös genannt. Hier fehlt eine gemeinsame christliche Basis. In einigen Fällen lösen interreligiöse Partnerschaften bzw. Ehen Konflikte aus, die bis zur Ausgrenzung der betroffenen Personen führen können. Hier ist wiederum an den Schatz der Freiheit zu erinnern, den Gott dem Menschen geschenkt hat: Der Zwang, sich aus religiösen Gründen von der geliebten Person zu distanzieren, entspricht nicht der Freiheit, die jeder Mensch erhalten hat, weil er nach dem Bild Gottes erschaffen wurde (Gen 1,27). Bei interreligiösen Partnerschaften bildet die Zivilehe einen gangbaren Weg. Sie stellt eine gesetzliche Absicherung dar und gewährleistet, dass die Eheleute die gleichen Rechte haben. Menschen aber, die an Gott glauben und der Ansicht sind, dass ihre Ehe unter dem Segen Gottes stehen sollte, ist in der Regel eine Zivilehe zu wenig. Sie sehnen sich nach einem religiösen Akt, durch den konkret wird, dass Gott ihre Gemeinschaft segnet. Ein solcher Akt ist zwar seitens unserer Kirche nicht möglich, weil die Grundlage der Feier des Mysteriums der Ehe der Glaube an den Dreieinen Gott ist. Wir betrachten aber diese Sehnsucht als völlig berechtigt. Deshalb will die orthodoxe Kirche in Deutschland auch interreligiöse Paare auf ihrem Lebensweg begleiten, sofern dies erwünscht ist, und ist jederzeit bereit, sie mit Rat und Tat zu unterstützen. Zudem ermuntern wir diese Paare dazu, vor und nach der Eheschließung ganz offen und konstruktiv miteinander über Fragen zu sprechen, die aus dem religiösen Unterschied entstehen, z.B. über die Kindererziehung.

 

8. Ein brennendes Thema heutzutage ist die Frage der Homosexualität und der homosexuellen Partnerschaften. Dass darüber in unserer Gesellschaft offen diskutiert wird, kann prinzipiell als etwas Gutes angesehen werden. Denn über Jahrhunderte wurden homosexuelle Menschen ignoriert, ja sogar unterdrückt und verfolgt – wie etwa in den Zeiten des Nationalsozialismus.

 

In der Heiligen Schrift, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament, gibt es Aussagen gegen die Homosexualität. Der Wert dieser Aussagen wird heute kontrovers diskutiert. Auch in der Tradition unserer Kirche finden sich zahlreiche Äußerungen gegen die Homosexualität. Wie jegliche körperliche Neigung unterliegt auch diese der Zurückhaltung, der Einschränkung ungezügelter Leidenschaften, der keuschen Askese, wie wir sie im Fasten erlernen. Fest steht: Man ist weitgehend in Unwissenheit darüber, wie Homosexualität entsteht. Es können etwa genetische, psychische und kulturelle Faktoren beteiligt sein, doch in Wirklichkeit gibt es keine Klarheit darüber, welche Rolle diese Faktoren spielen und in welcher Beziehung sie zueinander stehen.

 

Da nach orthodoxem Verständnis das Mysterium der Ehe eine Verbindung zwischen Mann und Frau voraussetzt und über eine ausschließlich soziale Perspektive hinausgeht, ist die Eheschließung von homosexuellen Paaren in unserer Kirche nicht möglich. Offene Fragen in Bezug auf homosexuelle Menschen gehören in den Bereich der Seelsorge und der taktvollen Begleitung durch die Kirche. Denn alle Menschen sind nach dem Bild Gottes erschaffen. Deshalb ist allen jener Respekt entgegenzubringen, der der Existenz dieses göttlichen Bildes im Menschen entspricht. Dies gilt auch für unsere Kirchengemeinden, die dazu aufgefordert sind, allen Menschen Liebe und Respekt entgegenzubringen.

 

Fazit

 

9. In der Gesellschaft, in der wir leben, finden ständig Veränderungen statt. Jene, in denen wir den Geist des Evangeliums Jesu Christi erkennen, begrüßen wir. Auch die traditionelle Familie steht heute vor radikalen Herausforderungen. Getreu dem Wort des Apostels Paulus an die Thessalonicher „Prüft alles und behaltet das Gute!“ (1 Thess 5,21) sind wir alle, liebe junge orthodoxe Christen, stets neu dazu aufgerufen, das Menschenbild unseres orthodoxen Glaubens zu vertreten, und vor allem zu leben.

 

Das Wort von der Familie als „Kirche im Kleinen“, die Urzelle der Kirche in ihrer Gesamtheit ist, ist für uns nach wie vor zukunftsweisend.

Gott segne Euch!

 

Frankfurt am Main, den 12. Dezember 2017

 

† Metropolit Augustinos von Deutschland, Exarch von Zentraleuropa

 

Vorsitzender

und die übrigen Mitglieder

der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland