Pfingstbotschaft 2019

 

Seiner Eminenz des Erzbischofs Johannes von Chariopolis

 

In dieser Pfingstzeit bewegt uns das meditative Nachdenken dazu, nach dem Sinn dieses Festes zu fragen. Wenn wir die Texte wieder zur Hand nehmen, die Ikonographie und die patristischen Texte, dann sehen wir, dass das Ereignis, welches wir feiern, gleichzeitig individuell und kosmisch ist und beides untrennbar verbunden ist. Individuell ist es, denn die Apostel empfangen ein jeder als Einzelperson den Tröster-Geist, der ihnen seine Erkenntnis der durch Christus geoffenbarten Mysterien eröffnet. Kosmisch ist es, denn durch die Apostel ruht der Geist auf dem gesamten geschaffenen Universum und erneuert die gesamte Schöpfung.

 

In unserer Tradition ist die Kirche am Pfingsttag mit grünen Zweigen geschmückt. Sie symbolisieren diesen Kosmos, der zum Empfänger der Energien des Heiligen Geistes wird. Doch wir müssen mitansehen und mitbekommen, wie dieser Kosmos, in dem wir wohnen, überall bedroht wird von der raubtierhaften Gier des Menschen, der, weit davon entfernt, seine eigenen Bedürfnisse zu meistern, jeden Tag neue, unnütze hinzuerfindet, und so das Gleichgewicht des Planeten Erde in Gefahr bringt, der doch sein Lebensraum ist. Diese Erde aber, auf der wir so gut leben können, ist Ausdruck der Liebe des Schöpfers. Sie ist die Theophanie Gottes, seine Offenbarung, an der wir Anteil haben. Diese Offenbarung hat keinen anderen Sinn, als Gemeinschaft zu stiften zwischen Schöpfer und Geschöpf und zwischen Geschöpf und Schöpfer. Dieses Ziel zu verlieren, das heißt, sich wissentlich allen mögliche Katastrophen auszusetzen. Die Schöpfung ist ein Ort der Offenbarung, denn sie ist das Werk des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die durch die Herabkunft des Heiligen Geistes geheiligte Natur zu betrachten, lässt uns sehen, dass alles in Gott existiert, lässt uns jene geistliche Seele der Schöpfung entdecken, die Vater Sergius Bulgakov die « kosmische Weisheit » nannte. Wir können dann jene Erfahrung machen, die Vater Pavel Florensky folgendermaßen beschreibt: « Dann erkennt (jener, der betrachtet) die ewigen Wurzeln des geschaffenen Universums, aufgrund derer es in Gott Bestand hat ». (La Colonne et le Fondement de la Vérité, S. 211)

 

Die Schöpfung, so sagt uns Dionysios der Areopagit, ist eine Überfülle an Symbolen, die alle danach streben, uns dieses « Gott-jenseits-von-Gott » verständlich zu machen, diesen « Urgrund alles Seins, der alles übersteigt », « denn alles wurde für ihn gemacht und ... alles hat seinen Bestand in ihm, und da er ist, wird alles geschaffen und erhalten, und alles strebt zu ihm hin: die intelligenten Wesen durch die Erkenntnis, die Tiere mittels der Empfindung, die anderen Wesen durch eine Lebensregung oder eine angeborene oder erlernte Fähigkeit. » (Die Namen Gottes, I). Doch das, was wir heute leben, ist eher eine permanente Bedrohung dieses zerbrechlichen Gleichgewichts, denn der Mensch, der seinen eigenen Lebenssinn verliert, reißt die Schöpfung mit sich und führt auch sie auf Abwege. Das Gott in Erscheinung treten lassende – theophanische –  Werk des Schöpfers, seine eigene Offenbarung, dieser « wunderbar komponierte Hymnus », von dem die griechischen Väter sprechen, diese Sprache Gottes, sie wird durch ebendieses Geschöpf verachtet, das einzig auf der Höhe wäre, sie zu deuten: der Mensch. Sein Ego erlaubt es ihm nicht mehr, sich der Herrlichkeit, der Gnade, der Poesie und der Energien zu öffnen, die in die Schöpfung hineingelegt wurden. Er, das geistliche Zentrum des Universums, hat sich seine Aufgabe als « logikos » (Übersetzer) verbaut und kann die « logoi », die geistlichen Grundlagen der Dinge, nicht mehr zum Ausdruck bringen. Denn der Mensch ist in der göttlichen Theophanie nichts anderes, als dieser Ort, an dem sich « nach der göttlicher Weisheit die Verschmelzung und Vermischung des Fühlbaren und des Verstehbaren ereignet, (denn er ist) die Verbindung vom Göttlichen und vom Menschlichen (und durch ihn kann) die Gnade auf die gesamte Schöpfung ausstrahlen », wie der hl. Gregor von Nyssa sagt.

 

Das Pfingstfest ruft uns unsere Berufung wieder in Erinnerung. Der Raum, in dem der Heilige Geist ruhen darf, der Raum, durch den der Heilige Geist sich offenbaren soll, der Raum, der fähig ist, diese Schöpfung als Offenbarung zu entziffern: das ist die wirkliche Größe des Menschen. Sich dessen bewusst zu werden, das heißt eintreten in diese Bewegung, die uns auf das Stöhnen der Schöpfung hören lässt, auf ihr Seufzen, wie der Apostel sagt. Sich dessen bewusst geworden, was sie ist und was wir sind, sollten wir sein wie Wächter, damit wir von diesem wirklichen tieferen Sinn Kunde geben können und durch unser Leben, unsere Askese und unser Tun diesen Prozess der Zerstörung anhalten können, der uns unaufhaltsam früher oder später ernüchtert aufwachen lässt.

 

Die Orthodoxie bietet uns durch ihre mystische Kosmologie einen geistlichen Weg an, der den Menschen, die Schöpfung und den Lauf der Zeit sehr ernst nimmt. Denn die Fleischwerdung des göttlichen Logos fasst zugleich das Geschaffene und das Ungeschaffene, die Zeit und die Ewigkeit, das Menschliche und das Göttliche zusammen.  Der Heilige Geist allein kann uns zu einer solchen Durchdringung dieses großartigen Prozesses fähig machen, der nach dem hl. Maximus Confessor von Gott her zu Gott hin führt durch die Theophanie, das Erscheinen Gottes, in dem das große Geheimnis der göttlichen Liebe geoffenbart wird, die sich zu erkennen gibt.

 

Der Sinn liegt in dieser Erkenntnis verborgen – es ist die Erfahrung der Liebe Gottes. Inmitten aller Tragik und aller Dunkelheiten leuchtet in der Tiefe des menschlichen Herzens ganz langsam dieser Raum Gottes auf, in dem wir das Universum in diesem neuen Licht betrachten können. Der Tod, die Auferstehung und das Niedersteigen des Heiligen Geistes sind die drei Etappen, denen wir uns stellen müssen. Denn Gott selbst hat sie durchlebt und auf sich genommen. Er hat uns dadurch das Hilfsmittel aufgezeigt, wie wir wieder zu ihm aufsteigen können, zu Ihm, der sich bis zu uns niedergebeugt hat.

 

Möge der Heilige Geist Gottes, der auf die Welt und in unsere Herzen ausgegossen ist, unsere Augen öffnen und uns ganz einfach Wahrnehmung werden lassen, so wie uns der hl. Isaak der Syrer einlädt: « Wie wir zwei leibliche Augen besitzen, so besitzen wir auch zwei geistliche Augen, und ein jedes Augenpaar hat seine eigene Sicht. Mit dem einen sehen wir die Geheimnisse der Herrlichkeit Gottes, wie sie in den Geschöpfen verborgen ist..., mit dem anderen betrachten wir die Herrlichkeit der heiligen Natur Gottes ».

 

Allen ein gutes und heilige Pfingstfest!

 

† JOHANNES von Chariopolis

 

 Erzbischof der russisch-orthodoxen Gemeinden
in Westeuropa

 

Paris, am 16. Juni 2019